Schnuckenmoment

Zwischen Heide und Moor

ausgekotzt und einsam

Ich zähle.
Ich zähle die Menschen, die an meinem Platz vorbei gehen, zur Tür reinschauen, als wäre ich ein Ausstellungsobjekt oder, noch schlimmer, ein Tier im Zoo. Sie gaffen mich an, während in ihrem Gesicht deutlich die Frage steht, warum ich hier bin. Ich gaffe zurück und strecke denen, die zu lange gucken am Ende die Zunge raus.
Dann erst zucken sie meist zusammen und gehen weiter, fast schon beschämt und sich ihrer Lehren erinnernd. Diese Psychoheinis von morgen.

Irgendwann sind keine Menschen mehr da, die ich zählen kann, die gaffen und mich zurückgaffen lassen. Dann zähle ich die Bilder, zähle die Blumen auf den Bildern und wenn das nicht hilft, dann zähle ich auch noch jeden einzelnen Punkt auf diesen krickligen, kitschigen Bildern. Wozu hängen die da überhaupt? Zur Beruhigung? Zur Raumverschönerung? Selbst ein Kind kann solche Kunst darstellen und das ohne große Anstrengung. Doch Kunst ist heute eh nicht mehr, was sie mal war. Kunst wird heute verlacht und jeder Hans-Franz darf sich jetzt Künstler nennen mit seinen Werken. Egal was er macht, was er tut. Sie alle halten sich doch für Künstler in ihrem Leben. Doch was bin dann ich? Vielleicht mal die Faser der Leinwand?

Längst habe ich begonnen die Buchstaben meiner letzten Aufgabe zu zählen, mich abzulenken, während ich gleichzeitig den Schritten im Nebenraum lausche. Aber noch kommen keine auf die Tür zu, noch bin ich alleine. Ich kontrolliere noch einmal die Zeilen und möchte sie am Liebsten zerreißen, sie als Lüge ansehen, nur um zu wissen, dass diese Zeilen die Wahrheit meines beschissenen kleinen Lebens sind und so viele Ängste und Sorgen beinhalten, die für mich die Welt sind und für andere einfach lachhaft.
Keiner versteht mich, keiner versteht die Windungen meines Hirns, die sich wie Mühlen langsam drehen und jeden Gedanken, jeden Sekundenbruchteil zermahlen bis nur noch Staub da liegt und in dem Staub die Ängste hoch kommen. Ängste, die meine Zukunft zeigen, Ängste, die mein Leben immer wieder verändert. Und dann? Dann knallt es wieder da oben im Kopf und das große eiserne Tor fällt herab, sperrt alles aus, was mir Angst macht und lässt mich in Sicherheit wiegen.

Doch wenn ich erst hinter diesem Tor bin, in dieser Sicherheit, die eine trügerische Wahrheit ist, dann bin ich fern von allem. Fern von den Gefühlen, fern von den wahren Gedanken und fern der Realität.
Diese Welt, in der ich mich sicher fühle, birgt so viele Gefahren, so viele Probleme, die ich aber gar nicht erkenne. In dieser Welt bin ich für nichts zuständig, nicht mal mehr für mich alleine. Das übernehmen andere alles für mich. Sie beschützen mich, kümmern sich um mich, sorgen dafür, dass mir ja nichts geschieht. Und geht das Tor hoch, dann…. Ja dann muss ich erkennen, wie verlogen ich selber zu mir bin, mein Unterbewusstsein mich niederträchtig behandelt und hängen gelassen hat.
Denn um mich herum ist immer ein Schlachtfeld aus Emotionen und Worten, abgeprallt an meinem eisernen Tor, welches mich in Sicherheit wog. Doch jenseits davon liegen Freundschaft, Liebe, Wut, Hass zerbrochen auf dem Boden und ich wate durch ein Meer aus Tränen und Kummer, Verzweiflung und Angst. Und all das zwingt mich erneut zurück hinter das Tor, das langsam wieder zu sinken beginnt.

All das ist ein Mechanismus, den ich nicht alleine anhalten konnte, ja sogar wollte bis zu jenem Tag, als das Tor auf ging und ich in diesem Trümmerfeld stand, mit einem Messer in der Hand. Einem Messer an dem Blut klebte, mein Blut, noch nicht viel, doch es reichte mich zu verletzen, zu erschrecken und viel, viel später erkannte ich meine eigene Gefangenschaft, bekam die Namen dessen genannt, was mich beherrscht und heute sitze ich hier.
Ich sitze hier und zähle die Worte, die ich geschrieben habe, die mein Leben in Ausschnitten berichten, jene Momente die waren, wenn mein Tor unten war und ich muss erkennen, dass ich wirklich das Ausstellungsstück bin, das Tier hinter Gittern, gefangen und eingesperrt in mir selber.
Ich gaffe mich selber an und bin angeekelt von mir, da ich erkenne, warum ich in diesem Raum sitze und alles zähle, nur um nicht wieder das Tor fallen zu hören.

Ich habe mich selbst beschissen und nun muss ich raus, raus aus dieser Lüge in die Wahrheit zurück. Und muss erkennen, dass mein Tor, mein geliebtes, sicheres Tor mein Leben ruiniert hat, meine Freundschaften… mich.

Dann kommen die Schritte zur Tür, reißen mich heraus aus meinen Gedanken, meine mahlenden Windungen und ich fühle mich ausgekotzt und einsam. Die Tür, die besagte Tür, öffnet sich und das Licht ist blendend im ersten Moment, auch wenn es doch nur ein normaler Raum dahinter ist. Ich blinzle, drücke die Schultern durch und nehme meine Aufgabe, mein Leben fest in die Hand.
Und mache den wichtigsten Schritt in meinem Leben, während in mir das Tor beginnt zu rosten.

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